Nachhaltigkeit – Coaching mit Agenda?!

Die Welt muss handeln – und zwar sofort!

Noch können wir umsteuern und zugleich die Wirtschaft ankurbeln und Gesundheitsschäden verringern. Das ist die Botschaft des sechsten Sachstandberichts des Weltklimarats (IPCC), der vorgestern, am 22.3.2023, veröffentlicht wurde. 

Was hat das mit uns Coaches zu tun? Unsere Aufgabe ist doch, unsere Klient:innen – Individuen oder Organisationen – bei der Lösung ihrer Probleme und der Erreichung ihrer Ziele zu helfen. Wenn die das Wohlergehen unseres Planeten nicht auf dem Schirm haben, dann ist es auch nicht unsere Sache – oder etwa doch?

Ethische Entscheidungen

In meiner Coaching-Ausbildung habe ich gelernt, dass ich objektiv sein und keine eigene Agenda haben, sondern der Agenda meiner Klient:innen folgen soll. Ganz abgesehen davon, dass ich auf meiner Agenda habe, meine Brötchen zu verdienen, ist da noch ein weiterer Punkt ziemlich weit nach oben gerutscht: Ich will eine lebensbejahende Zukunft mitgestalten! Ich will keiner Klient:in helfen, sich äußerst effektiv in die falsche Richtung zu entwickeln. Stattdessen möchte ich sie dazu bringen, ihre eigene Rolle in der aktuellen desaströsen Entwicklung und ihre Entscheidungen zu überdenken. Viele von uns arbeiten mit Entscheidungsträger:innen in Organisationen, die großen Einfluss auf die Umwelt und die Gesellschaft haben. Wir können dafür sorgen, dass Nachhaltigkeit auf die Agenda dieser Menschen kommt.

Was für ein Coach möchte ich sein? Welchen Beitrag möchte ich leisten? Das ist auch eine ethische Entscheidung. Ich zitiere meinen Lieblingssatz aus dem Code of Ethics des ICF (International Coaching Federation): “Als ICF-Professional bin ich mir der Auswirkungen meiner selbst und meiner Kunden auf die Gesellschaft bewusst. Ich halte mich an die Philosophie ‚Gutes tun‘ und ‚Schlechtes vermeiden‘.” Ich halte es für fair, mit meiner Coachee in der Auftragsklärung zu besprechen, was mir im Coaching und als Mensch wichtig ist. Wenn ein Interessenkonflikt zwischen meinem Coaching-Auftrag und meinem ethischen Verständnis entsteht, muss ich ihn auflösen, was bedeuten könnte, die Coaching-Beziehung auszusetzen oder zu beenden. Auch dazu verpflichtet mich der ICF Code of Ethics. 

Wie bringe ich Nachhaltigkeit in eine Coaching-Sitzung?

Hier sind ein paar konkrete Möglichkeiten, das Thema Nachhaltigkeit in eine Coaching-Sitzung einzubringen:

Rad der Lebensaspekte
  • Gespräche über Purpose oder Werte eignen sich dafür besonders gut. Ich verwende gern ein Diagramm (s. Bild), mit dem die Klient:in visualisieren kann, welche Lebensaspekte bei ihr wie stark ausgeprägt sind und bei welchen sie sich eine Veränderung wünscht (angelehnt an “Neils Wheel”).
  • Viele Coaching-Interventionen sollen unserer Klient:in dabei helfen, den Blick auf ihre Realität zu erweitern. Wir laden sie ein, aus ihrem täglichen Sumpf die Vogelperspektive oder die Perspektive anderer Personengruppen einzunehmen – warum nicht mal die eines Inselbewohners im Pazifik, einer Bäuerin in Afrika oder der eigenen Ur-Ur-Urenkelin. Oder die eines Berggorillas im Kongo-Becken oder einer Fichte im Harz.
  • Nachhaltigkeit hat mit dem Bewusstsein zu tun, dass wir selbst Teil der Natur sind. Dieses Bewusstsein kann ich fördern, wenn ich mich mit meiner Klient:in zu einem Spaziergang in der Natur verabrede. Die Wirkung dieser Umgebung ist eine ganz andere als die eines sterilen Büros. Das funktoniert sogar remote mit dem Smartphone. 
Bild: Berggorilla (wikipedia)

Umgang mit Gefühlen

Bei immer mehr Klient:innen lösen die sich anbahnenden Katastrophen starke Gefühle aus: Hilflosigkeit, Sorge, Angst, Wut, Trauer – “Eco-anxiety” befällt besonders junge Leute, die ihre Zukunft gefährdet sehen. Die Beschäftigung mit Nachhaltigkeit führt auch bei mir dazu, dass ich immer wieder ein Tal der Tränen durchlaufe. Es hilft nichts, diese Gefühle zu unterdrücken und unter den Teppich zu kehren. Ich kann meiner Klient:in helfen, damit fertig zu werden, und damit vielleicht krankhaften Zuständen vorbeugen, bei denen ich nicht mehr weiterhelfen kann. Am Ende einer Coaching-Sitzung nennt sie konkrete Schritte, die sie nach eigener Einschätzung mit hoher Wahrscheinlichkeit umsetzen wird. 

Denn: Aktive Schritte helfen aus der Eco-anxiety – das wird auch vom World Economic Forum empfohlen.

Verantwortung

Außerdem hilft es ungemein, sich mit anderen auszutauschen. Man erkennt, dass man nicht allein dasteht, kann sich austauschen und zusammenarbeiten. Eine wunderbare Gruppe von Coaches, die ihren ökologischen Weg gemeinsam gehen, ist die Climate Coaching Alliance. Gerade findet das “Global Festival 2023” statt mit vielen Veranstaltungen für die unterschiedlichen Zeitzonen dieser Welt. Auch das Buch “Ecological and Climate-Conscious Coaching – A Companion Guide to Evolving Coaching Practice”, das von den Gründer:innen dieser Gruppe herausgegeben wurde, ist eine tolle Inspirationsquelle. Mit einem Zitat aus diesem Buch möchte ich schließen: “Our responsibility lies beyond the needs and wants of an individual client. If coaching is about assisting individuals to gain insight and act, there is a huge opportunity for us to take a more systemic view and consider our role in helping humanity to find a sustainable way of living for the future.” – “Unsere Verantwortung [als Coaches] geht über die Bedürfnisse und Wünsche einer einzelnen Klient:in hinaus. Wenn es beim Coaching darum geht, den Einzelnen zu unterstützen, Einsichten zu gewinnen und zu handeln, besteht für uns eine große Chance, eine systemischere Sichtweise einzunehmen und der Menschheit zu einer nachhaltigen Lebensweise für die Zukunft zu verhelfen.”

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